Es gibt viele Möglichkeiten, den Begriff Authentizität zu verstehen. Ich bevorzuge die folgende Definition:
Authentizität bedeutet kongruentes und stimmiges Auftreten und Verhalten.
Wir Menschen haben sehr feine Antennen dafür, wenn sich jemand nicht stimmig verhält. Oft können wir es nicht mal genau benennen warum, aber irgendwas stimmt dann mit diesem Menschen nicht. Wir fühlen uns in seiner Gegenwart nicht sicher. Dieser Mensch wirkt auf uns nicht berechenbar und wir können ihm oder ihr nicht vertrauen.
Was ist kongruentes Verhalten?
Ein Mensch verhält sich kongruent oder stimmig, wenn sein inneres Erleben zum äußeren Erscheinen passt. Mit anderen Worten, wenn wir das Gefühl haben, dass das Verhalten eines Menschen nicht zu dem passt, was wir uns über sein inneres Erleben (seine Gefühle und seine Gedanken) vorstellen, dann wirkt dieser Mensch nicht authentisch auf uns. Natürlich haben wir keinen blassen Schimmer, was ein anderer Mensch fühlt und denkt – das sind immer nur Vermutungen – und doch funktioniert dieser Mechanismus erstaunlich gut.
Wir sind erstklassig im Lesen feinster Bewegungen eines Körpers. So kann es sein, dass jemand sagt: „Ich freue mich, dich zu sehen“. Jedoch zeigt ihr Gesicht eher traurige oder sogar wütende Züge. Solche Unstimmigkeiten machen den Unterschied zwischen kongruentem und nicht kongruentem Verhalten aus.
Warum sind Menschen nicht authentisch?
Ich gehe hier auf zwei Ursachen ein, warum Menschen sich nicht authentisch zeigen können oder wollen.
Die erste Ursache ist die Angst vor den Konsequenzen. Was passiert, wenn ich wirklich die Wahrheit darüber ausspreche, was ich genau jetzt denke und fühle? Wir haben gelernt, dass wir verantwortlich dafür sind, was andere Menschen über uns denken und wie sie sich mit uns fühlen. Daher denken wir ständig für andere mit und versuchen, die innere Reaktion des Gegenübers subtil zu beeinflussen.
„Wenn ich ihr das sage, dann wird sie nie wieder ein Wort mit mir sprechen.“
„Wenn ich das jetzt mache, dann gibt es mega Krach. Das ist es mir nicht wert.“
„Ich kann doch jetzt nicht laut werden. Den Kunden sehe ich sonst nie wieder.“
Wir halten oft das zurück, was sich wirklich in uns abspielt, um unerwünschten Konsequenzen auszuweichen. Allerdings sind unsere Körper sehr gesprächig und geben viel mehr preis als unsere Worte. Unser Gesichtsausdruck, unsere Stimmlage, unsere Körperhaltung und Bewegungen. All das kommuniziert immer mit und erzeugt einen Gesamteindruck, der als nicht authentisch bezeichnet werden kann, wenn wir unsere Wahrheit zurückhalten.
Die zweite Ursache, warum viele Menschen nicht authentisch sind, liegt in ihrer Historie. Das Leben prägt uns und hinterlässt seine Spuren. Die meisten Menschen haben auf ihrem Weg vom Kind zum Erwachsenen gelernt, dass es nicht in Ordnung ist, gewisse Emotionen kongruent zum Ausdruck zu bringen.
„Jetzt weine doch nicht!“
„Zappel nicht so herum!“
„Hör auf, so zu schreien!“
„Jetzt sei doch nicht direkt beleidigt!“
Durch Aussagen, wie diese lernt ein Kind, unerwünschte Emotionen zu unterdrücken. So beginnt es sehr früh, sich entgegen seines tatsächlichen inneren Erlebens zu verhalten. Es ist dann nicht mehr authentisch, sondern spielt die Rolle des lieben und angepassten Kindes.
Der Verlust von Stimmigkeit liegt nicht nur in der Erziehung. Kinder und Heranwachsende sind manchmal Situationen ausgesetzt, in denen sie emotional überfordert sind. Z.B. wenn die Eltern sich lautstark streiten oder bei heftigen Unfällen. In diesen Situationen ist die einzig greifbare Überlebensstrategie für Kinder, sich von den körperlichen Erfahrungen der Emotionen abzutrennen. Der Fachbegriff dafür ist Dissoziation. Je nach Intensität der Überforderung wird auch von Traumatisierung gesprochen. Diese Abtrennung vom Körper und den Emotionen macht es vielen Menschen schwer, wirklich zu spüren, welche Emotionen sie empfinden. Eine solche Einschränkung in der Verbindung zum eigenen Körper macht authentisches Verhalten schwierig.
Wie wirkt sich das Nicht-Authentisch-Sein auf unser Leben und unsere Arbeit aus?
Ich bin überzeugt davon, dass die eingeschränkte Kapazität, uns authentisch zu zeigen, ein wesentlicher Grund dafür ist, warum Erfüllung und Freude im Leben auf der Strecke bleiben.
Das lässt sich folgendermaßen begründen. Viele Menschen lernen, sich als Kinder zu regulieren und unerwünschte Emotionen zu unterdrücken. Diese Regulationsmechanismen wirken tragischerweise nicht selektiv, sondern gleichermaßen auf alle Emotionen.
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass es möglich ist, die Freude zu maximieren und Trauer und Wut zu minimieren. Ein erfülltes Leben ist ein Leben, in dem alle Emotionen zugelassen und ausgedrückt werden. Denn jede Emotion ist Ausdruck von Lebendigkeit. D.h., wer die eigene Wut und Trauer unterdrückt, wird genauso die eigene Freude unterdrücken.
Wer Emotionen unterdrückt, – egal, welche – unterdrückt die eigene Lebendigkeit.
Es wird noch schlimmer. Das Zurückhalten kostet uns nicht nur Erfüllung im Leben, sondern auch Energie, die wir brauchen, um unseren Tag zu meistern. Zurückhalten von Emotionen und Gedanken ist ein energetischer Akt des Körpers und ist nicht um sonst. Das kann so weit gehen, dass wir uns bereits vor dem Mittagessen vollkommen kraftlos und ausgebrannt fühlen.
Mehr Authentizität im Leben ist also nicht anstrengend, sondern setzt letzten Endes Energie frei, die sonst für Selbstregulation verwendet wird. Diese neugewonnene Energie steht dir zur Verfügung, um zum selbstbestimmten und kreativen Schöpfer deines Lebens zu werden.
Was können wir tun, um authentischer zu werden?
Der wahrscheinlich wichtigste Schlüssel für Authentizität ist eine gute Selbstwahrnehmung.
„Wer bin ich? Was will ich? Was geht in mir vor?“
Nur wer über einen guten Zugang zu sich selbst verfügt, ist in der Lage, die eigene Wahrheit auszusprechen.
Es gibt viele Möglichkeiten, sich selbst besser kennenzulernen. Wenn du Lust auf mehr Authentizität und Freiheit in deinem Leben hast, kannst du mir gerne schreiben. Lass uns gemeinsam überlegen, was der nächste Schritt auf deinem Weg zu dir selbst sein könnte.